Dung-Hai Lee ist Professor an der University of California at Berkeley und gehört zu den derzeit angesehensten Festkörperphysikern weltweit. Jetzt wurde er zum ersten Wien-Professor des neu gegründeten Wilhelm-Wien-Instituts für Theoretische Physik an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg ernannt. Im Rahmen des ersten Wien-Kolloquiums stellte er seine aktuelle Forschung vor.
Warum Wilhelm Wien zum Namensgeber eines Instituts und einer Professur an der Universität Würzburg wurde? Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen hat Wien von 1900 bis 1920 als Nachfolger von Wilhelm Conrad Röntgen in Würzburg geforscht und gelehrt. Zum anderen war er ein herausragender Wissenschaftler und erhielt im Jahr 1911 den Nobelpreis für Physik für seine Arbeiten auf dem Gebiet der Wärmestrahlung.
Das Wilhelm-Wien-Institut
An diese Tradition will nun die Fakultät für Physik und Astronomie der Universität Würzburg anknüpfen – genauer gesagt: die Mitglieder des Instituts für Theoretische Physik und Astrophysik, denn sie sind automatisch auch Mitglieder des Wilhelm-Wien-Instituts. Ihr Ziel ist es, „eine international sichtbare Einrichtung“ aufzubauen, die der Pflege herausragender Forschungsarbeit auf dem Gebiet der Theoretischen Physik dient, wie es in einem Schreiben der Fakultät heißt. Das Institut soll sich „zum Kristallisationskeim von herausragender, innovativer Forschung entwickeln“ auf dem Gebiet der Theoretischen Physik.
Der erste Wien-Professor: Dung-Hai Lee
Zentrales Element dieses Instituts ist die Wien-Professur, die jährlich neu vergeben wird. Sie soll hochkarätige Wissenschaftler für mehrere Wochen nach Würzburg locken und damit den internationalen Austausch und die Kooperation im Bereich der Forschung fördern – so wie dies jetzt mit dem ersten Wien-Professor Dung-Hai Lee gelungen ist. Lee hat an der National Tsinghua University of Taiwan Physik studiert. 1977 wechselte er an das Massachusetts Institute of Technology in Cambrigde, wo er im Jahr 1982 promovierte. Von 1984 bis 1994 arbeitete Lee am Thomas-J.-Watson-Forschungszentrum der Firma IBM in Yorktown Heights (New York); seitdem lehrt und forscht er an der Universität von Kalifornien in Berkeley.
Dung-Hai Lees Forschung
„Neuartige Zustände der Materie entdecken und deren physikalische Eigenschaften verstehen“: So beschreibt Dung-Hai Lee das Ziel seiner Forschung auf seiner Homepage. Dieses Ziel versuche er auf unterschiedlichen Wegen zu erreichen: Zum Einen durch die theoretische Vorhersage neuer Materiezustände, zum Zweiten durch die Anwendung analytischer und numerischer Rechenmodelle auf streng korrelierte Systeme und zum Dritten durch die Entwicklung spezieller Theorien, die in der Lage sein sollen, physikalische Prozesse in wichtigen Experimenten zu erkennen. Auf diese Weise ist es Lee beispielsweise gelungen, zusammen mit zwei weiteren Physikern einen theoretischen Zusammenhang zwischen Supraleitung und dem Quanten-Hall-Effekt herzustellen.
In seinem Festvortrag im Rahmen des Wien-Kolloquiums erklärte Lee seinen Würzburger Zuhörern, warum fast alle Freiheitsgrade der Materie dazu tendieren, nahe des absoluten Nullpunkts der Temperatur geordnete Zustände einzunehmen. Bei den erst in den vergangenen Jahren entdeckten, eisenbasierten Hochtemperatursupraleitern werde dies aber durch Quantenfluktuationen verhindert. Die ungeordneten Phasen seien durch sogenannte topologische Quantenzahlen geschützt. Das zu Grunde liegende Konzept könne man sich ganz grob wie folgt vorstellen: Man betrachte ein Seil, das sich in einen Stab verwandeln möchte, wenn die Temperatur weit genug abgesenkt wird. Wenn das Seil nun aber dichte Sequenzen von Knoten enthält, werden diese bestehen bleiben, und das Seil wird den durch einen Stab beschriebenen Gleichgewichtszustand niemals erreichen.
Wilhelm Wiens Arbeiten
Wilhelm Wien ist vor allem bekannt für seine Einführung des Begriffs der Strahlung des Schwarzen Körpers und die Entdeckung des sogenannten Wienschen Verschiebungsgesetzes. Für das Wiensche Strahlungsgesetz wurde ihm 1911 der Nobelpreis verliehen. Darüber hinaus gehen zahlreiche weitere grundlegende Beiträge zur Physik auf ihn zurück. So entdeckte er bei der Untersuchung ionisierter Gase ein positiv geladenes Teilchen mit der Masse des Wasserstoffatoms, das nach der endgültigen Bestätigung durch Rutherford „Proton“ genannt wurde. Im Jahr 1900 vermutete Wien, dass der Ursprung der Masse der Materie elektromagnetisch sein könnte. Diese Hypothese und die von ihm entwickelte Formel wurde fünf Jahre später durch Einsteins berühmte Formel E = mc2 ersetzt. Das zeige, so die Mitglieder des Würzburger Wilhelm-Wien-Instituts, „dass Wien nicht immer das letzte Wort hatte, aber unglaublich kreativ und seiner Zeit weit voraus war.“
Mit der jährlichen Ernennung eines Wien-Professors an der Universität Würzburg versuche die Fakultät für Physik und Astronomie, den Geist von Wilhelm Wien hundert Jahre nach seinem Wirken wieder zu beleben. Die Ernennung von Dung-Hai Lee sei ein großer Schritt in diese Richtung.